V Intermezzo: Verruchte Zinsen und fliegendes Geld
Verruchte Zinsen
Die alten kleinasiatischen Religionen hatten keine Einwände gegen die Zinsnahme. Für Sumerer, Babylonier, Hethiter, Phönizier und Ägypter war Zinsnahme eine legale und durch Gesezte geregelte Angelegenheit. In einem markanten Gegensatz hierzu vertreten alle in Kleinasien verwurzelten modernen Weltreligionen – Islam, Judentum und Christentum – eine diametral entgegengesetzte Ansicht.
Grundsätzliche Kritik an der Zinsvergabe wird im Alten Testament vorformuliert (Ezechiel 18:13, Mose 2:22.24 und 5:23.20) und durch den Talmud in rechtlichen Bestimmungen konkretisiert, welche die Zinsnahme unter Juden verbieten und über Sonderregelungen die Ausgabe von Zisndarlehen an Andersgläubige ermöglichen. Unter der christlichen Kirche der Spätantike formt sich auf den Konzilen zu Elvira (306), Arles (314) und Nicaea (325) unter Berufung auf alt- und neutestamentarische Texte das sogenannte kanonische Zinsverbot, das zunächst nur für Kleriker gilt und nach seiner Ausweitung auf alle Gläubigen etwa zur Karolingerzeit (8-10 Jhdt.) dazu führt, dass sämtliche Formen von Zinsdarlehen pauschal als Wucher und somit als Sünde betrachtet werden. Während einerseits diverse päpstliche Erlasse wie das Decretum Gratiani (1139) für ein explizites Zinsnahmeverbot sorgen, nehmen andere -wie das von Papst Alexander III. im Jahre 1179- Juden ausdrücklich davon aus. Folglich sind Juden im Mittelalter die einzige Gruppe in Europa, die gewerblich Geld verleihen darf, eine Sonderstellung, die durch allerlei Verbote der Ausübung vieler anderer Berufe durch Juden noch akzentuiert wird.
Ab dem 16. Jahrhundert beginnt das Zinsverbot dann zu bröckeln. In Deutschland gilt es seit dem Westfälischen Frieden von 1648 als nichtig, und 1822 wurde es von der katholscihen Kirche kommentarlos gestrichen.
In islamischen Gesellschaften ist Gewinn durch Zinsen bis heute ‚tabu‘. Zu deutlich bezog der Prophet Mohammed Position, als er (622 n. Chr.) vorkündete, Geld verleihe man, um zu helfen und nicht um sich zu bereichern, und die Zinsnahme in seine Defintion der ‚Riba‘ (‚ungerechtfertigten Bereicherung‘) mit einschloss, da sie Geld seines natürlichen Zweckes als ‚Bote‘ (=Tauschmittel) und ‚Richter‘ (=Wertmass) entfremde (Suren 2275, 2278 und 3130). So sieht die gläubige moslemische Welt sich seit langem zur Entwicklung von Strategien (‚hi-la)‘) zur Umgehung dieser deutlichen Vorgaben gezwungen. Hierzu gehören zum Beispiel die Erhebung von Bearbeitungsgebühren bei offiziell zinsloser Kreditvergabe oder die Auszahlung von ‚Gewinnbeteiligungen‘ von Banken an Kontoinhaber.
Fliegendes Geld
Noch bevor Europa seine Vergangenheit wiederentdeckt, öffnet sich in China eine Fenster in die Zukunft: Gegen Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr. zirkuliert dort das sogenannte ‚fliegende ‚ -das leicht vom Winde erfassbare- Geld (fei qian). Die von chinesischen Philosophen oft vertretene Meinung, der wahre Wert von Münzen sei durch Macht und Ruhm der Herrscher definiert, deren Siegel sie tragen, hatte die Erfindung von Papiergeld in China vorprogrammmiert. 812 wird die unter Kaufleuten etablierte Praxis der Hinterlegung von Werten gegen auch in weit entfernten Provinzen einlösbare Gutschriften von der Tang Regierung übernommen und zum Transfer von Steuern in die Hautpstadt und umgekehrt zur Emission von Tee und Salz in den Provinzen benutzt.
Im frühen 13. Jahrhundert erobern die Mongolen das Reich der Mitte und führen das sogenannte ‚Seidengeld‘ ein. Die Khans machen Seide zur Wertreserve, vereinheitlichen die Geldscheine und sorgen für ihre Verbreitung bis über Chinas Grenzen hinaus. Um 1294 ist chninesches Seidengeld sogar in Persien im Umlauf. Nachricht von diesen Praktiken dringt bis in den Westen. Marco Polo ist bei seinem Besuch in ‚Cathay‘ (1266-1291) vom chinesichen Papiergeld so beeindruckt, dass er der Beschreibung seiner Herstellung und seines Gebrauchs ein komplettes Kapitel widmet. ‚Diese Papierstücke werden mit der gleichen Umsicht behandelt wie bei uns Gold und Silber… Ihre Fälschung wird mit dem Tode bestraft‘.
Historiker sind der Ansicht, dass -obgleich mit etwas Verspätung- die Kunde von chinesichen Papiergeldsystemen die Entwicklung des europäischen Bankwesens nicht unerheblich mitbeeinflusst hat. So sollen zb. verschiedene Praktiken der ersten Bankhäuser in Hamburg und Schweden chinesiche Vorbilder gehabt haben. Das erste westliche Papiergeld wird 1661 in Schweden gedruckt, danach in Britisch-Amerika (1690) und in Frankreich (1720). Erst später folgen England (1797) und Deutschland (1806). Ironischerweise stirbt Papiergeld gegen Ende der Ming Dynastie in China wieder aus und gelangt erst in der Neuzeit durch westliche Einflüsse dorthin zurück.